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Theorie, Diskussion - Hintergrundartikel



Leistungsdruck und Abhängigkeiten begünstigen Doping

 

Der folgende Artikel ist Teil des Jahresberichtes 2005 der unabhängigen französischen Kinderrechts-Organisation 'Défenseur des Enfants', die 2000 nach Verabschiedung eines entsprechenden Gesetzes gegründet wurde. Hintergrund ist die Ratifizierung der Internationalen Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen.

Danach durchlaufen die jungen Sportler eine Sozialisation, die späteres Dopen begünstigt. Physische und psychische Abhängigkeiten in einem von brutalem Leistungsdruck gekennzeichnteten System lassen vielen jungen Menchen keine große Wahl. Eine wirkungsvolle Prävention muss daher weit unten und früh anfangen sowie Lebensalternativen aufzeichnen.

 

der Jahresbericht 2005, Trop de pressions néfastes sur les jeunes espoirs du sport, p. 187

 



Auf den jungen Nachwuchshoffnungen lastet verhängnisvoller Druck

(...)



Intensives Training und Doping

Der junge Sportler, der mit der Vorgabe, Erfolg haben zu müssen, riskiert physischer und mentaler Gewalt ausgesetzt zu sein. An größte Risiko steht mit intensivem Training in Verbindung, vor allem wenn dieses frühzeitig beginnt und auf hohem Niveau stattfindet. Dies betrifft vor allem Sportarten wie Tanz, Schwimmen, Eislauf, Turnen und Schwimmen: Kinder im vorpupertären Alter besitzen die entsprechenden physischen Voraussetzungen für die gewünschten Leistungen. Diese Kinder, meist Mädchen, werden daher so früh wie möglich ausgewählt. Experten definierten anlässlich eines europäischen Konkresses zum Thema Sportmanagement (Gand, September 2004)  Kriterien für ein intensives Training: mehr als (?) 6 Stunden Sport pro Woche für ein Kind unter 10 Jahren und 10 Stunden pro Woche für ein Kind über 10 Jahre; Missbrauch findet statt, wenn das Training die körperlichen Möglichkeiten des Kindes übersteigt. Die öffentliche Hand fordert die Sportverbände auf, die Trainingsgrenzen nicht zu überschreiten.

 

Berichte ehemaliger Sportler, Sportmediziner und Sportpsychologen stimmen überein, die jungen Anwärter dieser Sportdisziplinen, die auf ein hohes Niveau hinarbeiten, müssen weit mehr als die festgelegte Norm trainieren: Junge Leistungs-Turnerinnen ab 7 Jahre trainieren 20 Stunden pro Woche; später im Alter für weiterführende Schulen, sind es 25 Stunden und in Trainingslagern 30 bis 35 Stunden. Schwimmerinnen zwischen 14 und 15 Jahren müssen 25 bis 30 Stunden trainieren.

 

Die Folgen dieser Überforderung sind Verdauungs-, Herzrythmus-, Schlaf-, Menstruations- und Wachstumsstörungen, Anämie, sportliches und mentales Versagen, Verletzungen oder immer wieder auftretende Krankheiten. Und nicht zu vergessen eine besonders schwere Störung: die Anorexie (Magersucht). In den vorpupertären Sportarten ebenso wie in den Gewichtssportarten wie Judo, Boxen, Ringen, ist das Gewicht entscheidend. Die Abhängigkeit von der Waage, der ständigen Notwendigkeit vor Wettkämpfen abnehmen zu müssen und die Einnahme von Medikamenten, die beim Gelingen helfen, kann junge Leute magersüchtig werden lassen.  Marie Choquet stellte in einer INJEP-Studie (Institut national de la jeunesse et de l’éducation populaire) fest, dass " junge Mädchen, die mehr als 8 Stunden pro Woche Sport betrieben, unter Schlafstörungen und zahlreichen somatischen Symptomen leiden“. Diese Jugendlichen (Mädchen wie Jungen) haben einen höheren Medikamentenbedarf als diejenigen, die moderat Sport betreiben.

 



Druck der Trainer

Der Körper, der solch einem Rythmus unterliegt, meldet sich. Aber die Welt der ‚Champion-Schmiede’ verbietet Klagen und betrachtet den Schmerz nicht als Alarmzeichen des Körpers. In diesen Kreisen, die zwar den Ruf haben, sehr aufmerksam zu sein, unterbricht der Trainer die Übungen am Holmenbarren erst wenn die Mädchen blutige Hände haben. Entsprechend strafen Trainer manchmal junge Fußballer, die unter Vertrag stehen, wenn sie wegen Krankheit fehlen. Ebenso wird nach einem Unfall zu früh wieder ohne Einverständnis des Arztes  angefangen oder ein Arztbesuch wird verweigert.  Die jungen „zukünftigen Champions“ sind üblicherweise Schikanen, Demütigungen, Bestrafungen und Erpressungen ausgesetzt. Wenn der Wettkampf zur Hauptsache wird und das Umfeld überwiegend männlich strukturiert ist, dann ist es nicht selten, dass verbale Gewalt und Anstiftung zu Aggressionen die Norm sind. Einige dieser Jugendlichen geraten in totale Abhängigkeit von ihren Trainern und sind unfähig gegen die an sie gestellten Anforderungen zu protestieren.  

 

Zahlreiche Trainer arbeiten ehrenamtlich. Ehemalige Leistungssportler gleich welchen Alters und Schulbildung (manchmal 18-20 Jahre alt) können ebenfalls als Trainer tätig sein. Dieser Ausbildungsmangel vieler Trainer, der vor allem die Physiologie und Psychologie der Kinder betrifft,  bedingt, dass die physische und psychische Entwicklung der Kinder nicht berücksichtigt  werden und dass diese dieselben brutalen pädagogischen „Methoden“ anwenden, denen sie selbst ausgesetzt waren.

 

Die Fixierung auf Erfolg ist sehr stark. Man staunt darüber, dass die oft sehr jungen Kinder so behandelt werden ohne dass die Eltern es wissen oder reagieren. Oft verhalten sich die Eltern ambivalent. Sie wollen den Erfolg ihres Kindes, denn es ist der ihre und daher sind sie bereit den Preis dafür zu zahlen: Unter anderem die totale Abhängigkeit vom Trainer und die Distanz zu ihrem Kind, das von einem wichtigen Club ausgewählt wurde. Das kann soweit gehen, dass sie ihr Kind ebenso oder noch schlimmer, unter Druck setzen, vor allem dann, wenn der Vater sein eigenes Kind trainiert. (…) Diese Erwartung von Resultaten kann finanzielle Ausgaben provozieren (Umzug, Wettkampfteilnahmen, Ausrüstung). Das sportliche Kind wird als Investition betrachtet, als Quelle zukünftiger Einnahmen, besonders in Sportarten wie Fußball, Tennis oder Radsport, wo die Athleten Profis werden können. (…)

 



Die Doping-Versuchungen und ihre Auswirkungen

Viele, die sich mit der Dopingprävention im Auftrag der Regionalbüros für Jugend und Sport befassen, erklären, das Doping nur die Oberfläche eines viel umfassenderen und beunruhigenderen Problems ist. Der enorme Druck, der auf die Sportler (Erwachsene und Kinder) ausgeübt wird, damit sie alles tun, um zu gewinnen, um zu siegen, bringt sie zum Dopen. Umso mehr, wenn das Gehalt der Trainer abhängt vom Erfolg ihrer Sportler. Doping spielt eine Rolle als „Verminderer“ der physischen und psychischen Leiden des Sportlers, der einem hohen Leistungsniveau zustrebt. Es hilft den Sportlern einerseits dem Zwang zu genügen, erfolgreich um jeden Preis zu sein (denn beachtet wird nur wer gewinnt), andererseits müssen sie der Sportethik zustimmen, die Doping verbietet.   

 

Eine unveröffentlichte Studie bestätigt diese Analyse. Diejenigen, die Doping widerstehen, betreiben den Sport aus Vergnügen und können verlieren. Sie blicken nicht allein auf die  sportlichen Resultate und können Distanz halten, da ihr Leben nicht auf den Sport reduziert ist. Sie besitzen in der Mehrzahl einen Universitätsabschluss, sind eingebettet in eine Familie, die mit Sport wenig zu tun hat und haben ihre Sportdisziplin erst als Heranwachsende entdeckt. Die Bedeutung eines Abschlusses und somit der Schulbildung  im Kampf gegen Doping wird von Dr. Jérôme Gallion, Präsident des Rubgy-Clubs von Toulon bestätigt: Eine schulische oder universitäre Ausbildung ist Voraussetzung für ein Engagement, denn diese erlaubt dem Sportler im Falle einer Verletzung, sportlicher Zweifel oder einer Formschwäche außerhalb des Sports eine Arbeitsmöglichkeit zu finden. Damit wird die Falle vermieden, in die derjenige Sportler, der alles in den Sport investiert hat, gerät, wenn sportliche Misserfolge eintreten: Denn in diesem Fall würde er zu Dopingmitteln greifen. (...)

 

Psychologen und Psychoanalytiker bestätigen, dass das Wort Misserfolg tabu ist im Leistungsuniversum, genauso wie viele Sportler – ganz zu schweigen von ihrem Umfeld -  es nicht ertragen können, wenn ihre Hoffnungen von Karriere und Ruhm zu Ende gehen. Zu selten gibt es Strukturen im Sport, die die Sportlerzukunft vorausplanen und die, wie zum Beispiel im Tennis, ihren Athleten ein Übergangsjahr anbieten, bevor sie ins normale Leben zurückkehren. Dennoch, es ist unerlässlich, dass Kinder bei sportlichen Fehlschlägen betreut werden. Denn je früher sie Abhängige des Sports werden und der Macht der Trainer ausgeliefert sind, umso anfälliger sind sie für Gurus oder Drogen. Diese Risiken werden allgemein von den Trainern und der öffentlichen Hand, die durchaus informiert sind,  sowie von gewissen Ärzten geleugnet. Beauftragt  über die Gesundheit der Kinder zu wachen, aber bezahlt von Verbänden, die die Last haben über “die Gesundheit ihrer Lizenznehmer zu wachen und dafür die nötigen Maßnahmen ergreifen müssen" (Gesetz vom 23.3. 1999), sind die Ärzte hin und her gerissen zwischen ihrem Arbeitgeber und ihrem ärztlichen Gewissen. Erst im Februar 2004 präzisierten zwei Dekrete Art und Häufigkeit medizinischer  Untersuchungen von Hochleistungssportlern.

 

Übersetzung Maki, September 2006


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